Wertpflichtteil

bei Pflichtteilsfällen, die schon lange zurückliegen, ist Vorsicht geboten

Die Unterscheidung von Wertpflichtteil und Quotenpflichtteil bezieht sich darauf, dass der Betrag, den der Pflichtteilsberechtigte erhält, nicht immer seiner Pflichtteilsquote entspricht (dies wäre der Quotenpflichtteil), sondern bei der Berechnung des Pflichtteils Anrechnungs- und Ausgleichungsbestimmungen zu berücksichtigen sind. Der sich danach ergebende Pflichtteilsanspruch wird als „Wertpflichtteil“ bezeichnet.

Die begriffliche Unterscheidung spielte im Rahmen von § 2306 BGB a.F. (gültig bis 31.12.2009) eine wichtige Rolle. Es handelte sich um eine der kompliziertesten und „gefährlichsten“ Vorschriften des Pflichtteilsrecht, da der Pflichtteilsberechtigte bei falschem Vorgehen (oder falscher Beratung) die Erbschaft und den Pflichtteil zu verlieren drohte. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber im Rahmen der Pflichtteilsreform die Vorschrift des § 2306 BGB geändert und vereinfacht, so dass es auf die Unterscheidung zwischen Wert- und Quotenpflichtteil nicht mehr ankommt.

Für Altfälle (Todestag bis 31.12.2009) kommt ihr aber nach wie vor eine Bedeutung zu. Die Vorschrift lautete:

§ 2306 a.F. BGB: Beschränkungen und Beschwerungen
(1)  1Ist ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder ist er mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert, so gilt die Beschränkung oder die Beschwerung als nicht angeordnet, wenn der ihm hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt.2Ist der hinterlassene Erbteil größer, so kann der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil verlangen, wenn er den Erbteil ausschlägt; die Ausschlagungsfrist beginnt erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte von der Beschränkung oder der Beschwerung Kenntnis erlangt.
(2)  Einer Beschränkung der Erbeinsetzung steht es gleich, wenn der Pflichtteilsberechtigte als Nacherbe eingesetzt ist.

Nach herrschender Meinung bezog sich das in § 2306 BGB a.F. geregelte, nur (ausnahmsweise) bestehende Recht, die Erbschaft auszuschlagen und gleichwohl den Pflichtteil zu verlangen, nicht auf den Quotenpflichtteil, sondern auf den Wertwertpflichtteil. Ein Pflichtteilsrecht trotz Ausschlagung bestand nur, wenn testamentarische Beschränkungen im Sinne von § 2306 BGB a.F. vorlagen und mehr als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils hinterlassen war (§ 2306 a.F. BGB). Die „Hälfte des gesetzlichen Erbteils“ ist nichts anderes als der Pflichtteil. Man könnte bei der Prüfung allein auf die Quote sehen (sog. Quotenpflichtteil). Die herrschende Meinung nahm an, dass es darauf ankommt, was der Pflichtteilsberechtigte tatsächlich „wertmäßig“ unter Berücksichtigung der Anrechnungs– und Ausgleichungsbestimmungen bekommt (Wertpflichtteil), so dass im Einzelfall schwierig zu bestimmen war, ob eine taktische Ausschlagung möglich war.

Der Gesetzgeber hat die Problematik mit Wirkung und für alle Erbfälle ab dem 01.01.2010 gelöst, in dem er die Bezugnahme auf den hälftigen Erbteil gestrichen hat. Nach § 2306 BGB n.F. ist nun ein Recht zur taktischen Ausschlagung stets gegeben, wenn jemand testamentarisch bedacht und durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder er mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert oder nur als Vorerbe eingesetzt ist (§ 2306 BGB n.F.).