Erbrecht in Norwegen

und deutsch-norwegisches internationales Erbrecht

1. Welches Recht gilt bei deutsch-norwegischen Erbfällen? (Erbstatut)

In vielen Fällen müssen der künftige Erblasser oder seine Nachkommen überlegen, welches Erbrecht in ihrem Fall eigentlich gilt: Deutsches, norwegisches oder sogar internationales Erbrecht?

Bislang wird diese Frage durch die vom Erbfall berührten Staaten selbst und nicht etwa durch internationale Verträge geregelt (siehe auch internationales Erbrecht). Norwegen ist zudem nicht Mitgliedsstaat der europäischen Union und die jüngst vom europäischen Parlament beschlossene EU-Erbrechtsverordnung, die ab 2015 in den meisten EU-Mitgliedstaaten gilt, wird auf Norwegen keine Anwendung finden.

Aus der Sicht Norwegens bestimmt sich die Frage des anzuwendenden Rechts – soweit nicht im Verhältnis zu Dänemark, Schweden, Finnland und Island die Nordisk Dødsbodkonvention greift – bei grenzüberschreitenden Erbfällen deshalb allein nach norwegischem internationalen Erbrecht. Dies ist Teil des norwegischen internationalen Privatrechts (IPR), das – anders als in Deutschland – allerdings nicht gesetzlich fixiert ist.

Auch dieses Gewohnheitsrecht ist aber eine anerkannte Rechtsquelle und sie bestimmt, dass die Erbfolge aus norwegischer Sicht an den Wohnsitz des Erblassers anknüpft (hjemlandslov). Der Wohnsitz befindet sich in dem Land, in dem der Erblasser dauerhaft seinen Lebensmittelpunkt hatte. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein deutscher Handwerker nach Norwegen zieht und dort eine Firma aufbaut und ein Haus baut, nicht aber, wenn ein Deutscher in Norwegen ein Auslandssemester verbringt.

Erstaunlicherweise wenden norwegische Gerichte aufgrund der Behandlung der Rückverweisungsvorschriften durch die dortige Rechtsprechung deutsches Recht an, und auch aus deutscher Sicht ist ebenfalls aufgrund Rückverweisung deutsches Recht maßgeblich.

2. Gesetzliche Erbfolge, Testament und Erbvertrag, Pflichtteil (materielles Erbrecht)

a) Gesetzliche Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge ist in Norwegen im Lovomarv vom 03.03.1972 (nachfolgend: ErbG) geregelt. Ähnlich wie das deutsche Erbrecht richtet sich die Erbfolge nach Ordnung und Stämmen. In Abweichung zum deutschen Recht endet die gesetzliche Erbfolge bei der dritten Ordnung (Großeltern und deren Abkömmlinge).

Der überlebende Ehegatte ist neben Erben der ersten Ordnung, die zu gleichen Teilen erben, zu einem Viertel und dem Erben der zweiten Ordnung zur Hälfte als gesetzlicher Erbe berufen. Er ist alleiniger gesetzlicher Erbe, wenn nur Erben der dritten Ordnung vorhanden sind.

Wirtschaftlich wird der Anteil des überlebenden Ehegatten jedoch maßgeblich durch das familienrechtliche Güterrecht beeinflusst. Anders als in Deutschland ist in Norwegen der gesetzliche Güterstand der Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft, bei der das gesamte Vermögen der Ehegatten eheliches Gesamtgut bildet. Der überlebende Ehegatte kann dieses Gesamtgut sogar vollständig übernehmen, wenn er dies dem Nachlassgericht innerhalb von 60 Tagen nach dem Erbfall mitteilt. Die Auseinandersetzung dieses Gesamtgutes ist dann aufgeschoben, bis der Längerlebende verstirbt oder erneut heiratet.

Dieses dem deutschen Recht fremde Rechtsinstitut der fortgesetzten Gütergemeinschaft kann dazu führen, dass die dem Längerlebenden gezeugten Kinder zunächst keinen Zugriff auf den Nachlass haben. Allerdings können etwaige Kinder des Erblassers aus Vorehen die fortgesetzte Gütergemeinschaft hinsichtlich des Vermögens, das ihnen zusteht, verweigern und verlangen, ausbezahlt zu werden.

b) Testament und Erbvertrag

Auch in Norwegen gilt der Grundsatz der Testierfreiheit, d.h. der Erblasser kann beliebige Personen zu seinen Erben bestimmen, ohne dafür Gründe angeben zu müssen. Die Formvorschriften zur Errichtung eines Testaments sind allerdings deutlich strenger als in Deutschland: Die Unterschrift unter einem Testament muss entweder vor zwei Zeugen geleistet werden oder der Erblasser muss das Testament vor den Zeugen als seinen letzten Willen anerkennen (§ 49 ErbG). Dafür kann – anders als in Deutschland – bereits ein gedrucktes Formular den Formerfordernissen genügen.

Gemeinschaftliche Testamente sind in Norwegen grundsätzlich zulässig. Der länger lebende Erbgatte kann nach Annahme der Erbschaft nur noch eingeschränkt ausschließlich eigene letztliche Verfügungen treffen (§ 58 ErbG). In Abweichung zum deutschen Recht können gemeinschaftliche Testamente nicht nur von Ehegatten, sondern auch von Geschwistern und unverheirateten Lebenspartnern errichtet werden.

Ein Erbvertrag wie im deutschen Recht kennt das norwegische Erbrecht nicht. Allerdings eine erwartete Erbschaft übertragen oder verpfändet und vorab auf die Erbschaft verzichtet werden (§§ 44, 45 ErbG). Der Erblasser kann sich verpflichten, das Vermögen in der Familie zu behalten und ein bestehendes Testament zu ändern, zu widerrufen oder nicht zu errichten (§§ 55, 56 ErbG).

c) Pflichtteil

Der Pflichtteil ist nach norwegischem Recht der Teil des Nachlasses, über den der Erblasser nicht frei verfügen kann. Testamentarische Verfügungen, die den Pflichtteil verletzen, müssen nicht angefochten werden, sondern sind ipso jure (kraft Gesetzes) unwirksam. Anders als in Deutschland ist das Pflichtteilsrecht damit als Noterbrecht ausgestaltet und Testamente müssen entsprechend ausgelegt werden. Pflichtteilsberechtigt sind der Ehegatte und die Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel usw.).

Die Pflichtteilsquote beträgt bei Abkömmlingen zwei Drittel, beim Ehegatten ein Viertel des Nachlasses. Diese quotenmäßig bestimmten Pflichtteile sind allerdings betragsmäßig der Höhe nach begrenzt; die Höchstgrenze wird laufend angepasst.

3.  Nachlassabwicklung

In Norwegen gibt es zwei Formen der Nachlassabwiclung: die öffentliche (durch das Nachlassgericht) und die private Teilung (durch die Erben selbst).

Die private Teilung hat zur Voraussetzung, dass ein Erbe binnen 60 Tagen nach dem Erbfall die Erbschaft annimmt. Auf Antrag erhalten der oder die Erben vom Nachlassgericht einen Erbschein, der ihr Erbrecht ausweist (Skifteattest). Wird die Annahme nicht innerhalb der Frist von 60 Tagen mit der Folge persönlicher Haftung des oder der Erben erklärt, erfolgt eine öffentliche Teilung durch das Gericht, das zur Abwicklung einen Nachlassverwalter ernennt.

4. Erbschaftsteuer

Alte Rechtslage: In Norwegen wurde bis 31.12.2013 eine Erbanfallsteuer erhoben, von der nur der länger lebende Ehegatte, der registrierte Lebenspartner und der mit dem Erblasser zusammenwohnende Lebensgefährte vollständig verschont wird. Für die anderen Erwerber gab es Freibeträge. Ein Doppelbesteuerungsabkommen für Nachlasssachen besteht zwischen Norwegen und Deutschland nicht. Norwegen verschont den oder die Erben aber von einer doppelten Besteuerung für im Ausland gelegenes Vermögen, soweit im sog. Belegenheitsstaat Erbschaftssteuer zu zahlen ist. Die nach norwegischem Recht unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund der Staatsangehörigkeit des Erblassers entfällt aber dann, wenn der Erblasser im Ausland seinen letzten Wohnsitz hatte und die Erbschaft dort vollständig steuerbar ist.

Aktuelle Rechtslage: Mit Gesetz vom 13.12.2013 wurde die Erbschafts- und Schenkungsteuer ab 01.01.2014 in Norwegen aufgehoben. Maßgeblich für die Anwenbarkeit des neuen Rechts ist, dass der Vollzug der Schenkung oder der Todestag nach dem 31.12.2013 liegen.

Literatur zur neuen Erbschaftsteuer in Norwegen: Troll/Gebel/Jülicher, § 21 Rn. 120, ZEV 2014, 155.

5. Anerkennung deutscher Gerichtsentscheidungen in Norwegen

Aufgrund bilateraler Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über vermögensrechtliche Ansprüche mit Deutschland können Entscheidungen deutscher Gerichte auch dann in Norwegen Wirkung entfalten, wenn sie auf dem Gebiet des Erbrechts gefallen sind. Norwegen ignoriert eine deutsche Entscheidung nur dann, wenn nach norwegischem und internationalem Erbrecht die Frage des anzuwendenden Rechts anders zu beurteilen wäre als in Deutschland.

Dies dürfte nach den obigen Darstellungen selten der Fall sein. Wegen verbleibender Unsicherheiten aufgrund der gewohnheitsrechtlichen Ausbildung des norwegischen internationalen Erbrechts ist diese Frage aber immer im Einzelfall zu prüfen.